
18
»Das ist wahrscheinlich die Hebamme«, sagte ich und lief zur Haustür. »Ich mache schon auf, István. Geh du zurück und halt Drake davon ab, Gabriel umzubringen, ja? Savian hat es schon versucht, aber er ist für seine Mühen k. o. geschlagen worden.«
István verdrehte die Augen, als er Drake schreien hörte, und lief nach oben.
»Aua«, sagte Jim, der auf einem Sofa lag und in aller Seelenruhe Zeitung las. Ein Krach hallte durch das Haus. »Hat das für dich auch so geklungen wie der Kopf eines Wyvern, der gegen die Wand kracht? Also, ich fand, es hörte sich so an.«
»Ich habe Gabriel gesagt, er soll sich fernhalten und Aisling seiner Mutter überlassen, aber er bestand darauf, mehr Erfahrung mit Drachen zu haben als sie. Ich kann nur hoffen, dass Drake sich beruhigt und einsieht, dass Gabriel ja nur helfen will.« Ich blickte auf die Sicherheitsanlage, mit der Besucher an der Haustür gescannt wurden. Das grüne Licht, das anzeigte, dass die Person nicht bewaffnet war, leuchtete, und so gab ich rasch den Code ein, mit dem man die Tür öffnen konnte. »Gott sei Dank, da sind Sie ja endlich«, sagte ich erleichtert. »Aisling hält sich gut, aber Drake wird langsam zum Berser ... oh.«
Die Person, die vor der Tür stand, war nicht die Hebamme. Es war noch nicht einmal ein Drache.
»Ich bin heute nicht an Aisling Grey interessiert, ganz gleich, wie gut sie sich hält«, sagte Dr. Kostich und drängte sich an mir vorbei ins Haus, gefolgt von einem Mann und einer Frau. »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich zurückkommen würde, sobald ich meine Lehrlinge bestimmt habe. Dies sind Jack und Tully. Wir wollen überlegen, wie wir mit dem Drachen, den Sie Baltic nennen, vorgehen.«
»Es tut mir leid, aber im Moment ist es gerade ein bisschen hektisch. Könnten Sie nicht später noch einmal kommen? Aisling hat Wehen bekommen, und alle rennen herum und versuchen, es ihr bequem zu machen.«
»Ich sagte Ihnen bereits, dass ich mit ihr nichts zu tun habe«, antwortete Dr. Kostich. Er streifte seine Lederhandschuhe ab und zog seinen schweren Mantel aus. »Wir setzen uns mit dem grünen und dem silbernen Wyvern zusammen, um über das Thema zu sprechen. Ich habe genau zwei Stunden Zeit für diese Angelegenheit.«
»Ja, aber ...«
Er warf mir einen Blick zu, bei dem ich am liebsten in die Schatten verschwunden wäre. »Dies ist kein Höflichkeitsbesuch, Mayling, und Ihre Teilnahme ist nicht optional.«
Er übte beträchtlichen Druck auf mich aus, und jeder Sterbliche hätte wahrscheinlich sofort getan, was er verlangte, aber ich war nicht sterblich, und ich war nicht bereit, mich so behandeln zu lassen.
»Ooh, ein Dämon. Kann ich ihn streicheln?«, fragte der Mann namens Jack, als er Jim sah.
»Für einen Fünfer darfst du mir den Bauch streicheln«, erklärte Jim und drehte sich auf den Rücken.
Jack lachte und gab ihm, was er verlangte.
Ich wandte mich wieder an Dr. Kostich. »Es tut mir leid, aber im Moment ist die Situation viel zu chaotisch für dieses Treffen. Aisling hat Wehen.«
»Und das kann ja wohl noch Stunden dauern«, fuhr Kostich mich an. Er schob mich beiseite und eilte zum Wohnzimmer. »Wir können fertig sein, bevor sie ihren Wyvern braucht.«
Ich zögerte eine Sekunde lang und überlegte, ob wir Dr. Kostich tatsächlich wieder los sein könnten, bevor Aisling das Kind bekam. Nach allem, was ich von Geburten wusste, gingen sie nicht so schnell.
Kostich nahm mein Zögern als Zustimmung und sagte: »Kommen Sie, wir bringen diese Angelegenheit schnell hinter uns.«
Ich blickte ihm nach, als er im Wohnzimmer verschwand. Am liebsten hätte ich ihm die Meinung gesagt, aber das war bestimmt nicht gut.
Stattdessen sagte ich leise: »Arroganter, tyrannischer Magier!«
Der Mann namens Jack hatte mich offensichtlich gehört.
»Erzmagier«, korrigierte er mich. »Das ist der Unterschied. Wir niedrigen Magier dürfen niemanden herumschubsen, aber sobald man Erzmagier wird, ist man in dieser Hinsicht ein gemachter Mann.«
»Entschuldigung, ich wollte nicht unhöflich sein«, murmelte ich. Er hörte auf, Jim zu streicheln, und trat lächelnd zu mir. »Kein Problem. Ich habe noch nie einen echten Doppelgänger gesehen. Sie sehen gar nicht so aus, wie ich erwartet hatte.«
Er war ein wenig größer als ich, mit kurzen, roten Haaren und vielen Sommersprossen.
»Ich muss zugeben, dass es mir bei Ihnen genauso geht«, erwiderte ich lächelnd. »Sie sind doch ein Magier, oder?«
»Was sollen meine Lehrlinge denn sonst sein?«, fragte Dr. Kostich von der Tür her. »Ist das eine Verzögerungstaktik?«
»Nein. Ich hole die anderen, aber ich kann nicht garantieren, dass Drake bereit ist, Aisling allein zu lassen. Gabriel vielleicht auch nicht.«
Er grunzte und ging wieder ins Wohnzimmer.
Jacks Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. »Er ist ja vielleicht ein bisschen barsch, aber dieser Drachenmagier macht ihm große Sorgen.«
»Daran zweifle ich nicht.« Ich nahm seinen Mantel und den der Frau, die bisher noch nichts gesagt hatte.
»Jack!«, rief Kostich aus dem Wohnzimmer. »Bring mir die Tasche.«
Jack ergriff einen Lederkoffer und eilte zu seinem Herrn.
»Hallo, ich bin Jim«, sagte der Dämon und schnüffelte an der Frau. »Du bist kein Magier.«
»Doch, natürlich. Nun, ich bin noch Lehrling«, sagte sie und tätschelte Jim den Kopf. Sie wandte sich mir zu. »Dr. Kostich hat gesagt, Sie seien die Gefährtin eines Drachen?«
»Ja, das ist richtig. Ich bin May. Gabriel, der silberne Wyvern, ist mein Gefährte.«
Neugierig musterte sie mich ein paar Sekunden lang, aber dann entschuldigte sie sich mit leisem Lächeln. »Entschuldigung, ich bin unglaublich unhöflich. Aber ich habe noch nie die Gefährtin eines Wyvern gesehen. Ich habe irgendwie erwartet, Sie seien ... größer.«
»Sie hingegen sehen im Gegensatz zu Jack genauso aus, wie ich mir einen Magier vorstelle«, erwiderte ich lächelnd.
»Wieso?«, fragte sie und zog leicht die Augenbrauen hoch. Sie war eine große, schlanke Frau, mit langen, glatten, aschblonden Haaren, fast schwarzen Augen und einem zarten, schmalen Gesicht. Sie strahlte Behagen aus, ein Gefühl von Wärme, als ob man nach einer langen Reise wieder nach Hause gekommen sei.
»Nun ... ich hoffe, das klingt jetzt nicht unhöflich, aber meiner Erfahrung nach sind Magier immer sehr reserviert und zurückhaltend. Sie sind auch sehr beherrscht und äußerst geheimnisvoll, was ihnen zu gefallen scheint.«
Ihr Lächeln wurde noch ein bisschen wärmer. »Das ist eine sehr zutreffende Beschreibung von Magiern, aber ich bin leider wesentlich langweiliger. Ich fürchte, ich bin kein besonders guter Lehrling. Dr. Kostich hofft, dass ich in der Angelegenheit mit diesem mysteriösen Drachen so viel Erfahrung sammeln kann, dass es meiner Ausbildung zugutekommt.«
»Ganz bestimmt.« Ich nickte zum Wohnzimmer. »Wenn Sie dort bitte schon einmal hineingehen würden, dann hole ich rasch die anderen, obwohl, ehrlich gesagt, jetzt wirklich ein schlechter Zeitpunkt ist.«
»Dr. Kostich meinte, wir dürften keine Zeit verlieren«, sagte Tully und glitt zur Tür. Ich beobachtete sie einen Moment lang, verblüfft darüber, dass mir dieses Wort bei ihren Bewegungen in den Sinn kam. Sie ging nicht einfach nur - sie glitt anmutig, fast träumerisch dahin.
»May«, sagte Jim und stupste mich mit seiner nassen Nase an. »Diese Tully ist kein Magier«, erklärte er.
»Sie hat aber gesagt, sie sei einer.«
»Ja, nun, sie hat gelogen. Oder nein ...« Der Dämon verzog das Gesicht. »Nicht gelogen. Sie hat nur nicht die Wahrheit gesagt.«
»Was ist der Unterschied?«, fragte ich, als wir den Flur entlang zu Aislings Zimmer gingen. Einen Moment lang blieb ich wie erstarrt stehen, als ich sah, wer vor der Tür auf dem Boden lag. Tipene kauerte bei ihm. Ich rannte auf die kleine Gruppe zu. »István, ich habe dich doch gebeten, Drake daran zu hindern, Gabriel umzubringen. Wie schwer ist er verletzt?«
»Nichts Ernstes«, erwiderte die Liebe meines Lebens. Seine Lippe war gespalten und sein rechtes Auge geschwollen. »Drake war ein wenig aufgebracht, als Aisling eine besonders starke Wehe hatte. Savian hat noch versucht einzugreifen.«
»Ich glaube, ich bin tot«, stöhnte Savian, der ein Stück weiter, halb im Badezimmer, ebenfalls auf dem Boden lag.
»Es ist schlimm, wie Drake sich benimmt, wenn er sich aufregt«, sagte ich und betastete vorsichtig Gabriels Gesicht. »Aber du wolltest ja unbedingt dabei sein.«
»Mein Kopf bringt mich um.« Savian setzte sich stöhnend auf und fasste sich an den Kopf. Er berührte eine schmerzende Stelle und sank wieder zurück auf den Boden. »Aua.«
Gabriel verzog das Gesicht, als Tipene ihm Salbe auf Mund und Auge auftrug. »Ich habe mehr Drachen auf die Welt gebracht als meine Mutter. Sie hat hauptsächlich Erfahrung mit Sterblichen, aber Drake meinte ja, das würde keine Rolle spielen. Er zieht sie mir vor.«
»Im Ernst, ich glaube, ich bin tot. Könnte einer von euch netten Heilern kommen und meinen kaputten Kopf reparieren?«
»Ich glaube, mein Liebster, du hättest besser deiner Mutter den Vortritt gelassen«, sagte ich und küsste Gabriel liebevoll auf die Nasenspitze.
Er grinste mich schief an. »Ich bin geneigt, dir zuzustimmen. Ist die Hebamme hier?«
»Ich bin ein Geist, oder? Ich bin gestorben, und jetzt könnt ihr mich nicht mehr hören, und ich muss für den Rest meines Lebens in diesem Badezimmer hier spuken, mit Kopfschmerzen, die einen Elefanten umbringen würden. Hallo«, sagte Savian, als Jim zu ihm trottete und ihn ansah. »Bist du ein Engel?«
»Ich war mal einer, jetzt bin ich ein Dämon. Es wird Ash gar nicht gefallen, dass du ihr Badezimmer vollblutest. Du machst doch wieder sauber, oder? Sonst rutscht nachher noch jemand auf deinem Blut aus und bricht sich das Bein.«
»Mein Kopf«, wimmerte Savian. Ich hatte Mitleid mit ihm.
»Bis jetzt ist die Hebamme noch nicht da, aber wir erwarten sie jeden Moment. Tipene, schaust du mal nach ihm?«, bat ich den Bodyguard und nickte zu Savian hinüber.
Savian begrüßte ihn mit erleichterten Lauten.
»Deine Mutter kommt mit Aisling bestimmt großartig zurecht«, sagte ich zu Gabriel und half ihm auf. »Leider ist Dr. Kostich gekommen.«
Gabriels Lächeln erlosch. »Er will doch jetzt nicht etwa über Baltic mit uns sprechen?«
»Doch. Glaubst du, Drake würde Aisling einen Moment allein lassen?«
Gabriel wollte mir gerade antworten, als das Haus von einem gewaltigen Stoß erschüttert wurde.
Instinktiv ging ich in die Schatten und folgte Gabriel, der die Treppe herunterrannte. Hinter mir hörte ich Drakes Stimme. Er brüllte eine Frage, aber ich achtete nicht darauf und rannte in die Eingangshalle.
Eine weitere Explosion ließ das Haus erbeben, und die Druckwelle war so stark, dass mir die Ohren wehtaten. »Agathos daimon! Was ist das?«, fragte ich und trat aus den Schatten.
Die drei Personen, die auf die Haustür starrten, drehten sich langsam zu uns um. Tipene und Maata kamen ebenfalls angelaufen.
»Wir sind zu spät gekommen«, sagte Dr. Kostich. »Er ist hier.«
Ein dritter Schlag traf das Haus. Ich hielt mir die Ohren zu und drängte einen Schmerzensschrei zurück.
Drake und seine Bodyguards sprangen über das Geländer im ersten Stock und landeten leichtfüßig wie Katzen in der Halle. »Verdammt«, knurrte Drake und drückte ein paar Tasten auf dem Paneel der Sicherheitsanlage. »Dass er sich gerade diesen Zeitpunkt aussuchen muss. István, sag den anderen Bescheid, dass wir sie brauchen. Pál, mach die Schatzkammer bereit. Ich bringe Aisling hinunter. Wenn er das Haus in die Luft jagt, ist sie dort unten sicher. Kostich, was tun Sie hier?«
»Ich habe versucht, die Katastrophe zu verhindern, aber ich fürchte, ich bin zu spät gekommen.« Er betrachtete uns alle einen Moment lang, dann sagte er: »Wir werden tun, was wir können, um euch zu helfen. Jack, kümmere dich um die Siegel im Erdgeschoss. Tully, du nimmst die oberen Räume. Vergiss nicht, an jedem Eingang Fallen aufzustellen, ganz gleich, wie unwichtig er dir erscheinen mag.«
Jack eilte davon. Tully zögerte eine Sekunde lang. »Ich weiß nicht, ob meine Fallen und Siegel stark genug sind, um einen Drachen aufzuhalten, Meister.«
»Sie müssen ihn nicht aufhalten. Sie müssen uns nur aufmerksam machen, dass jemand eindringt. Los jetzt! Um die Haustür kümmere ich mich selber, da hier anscheinend der Kernpunkt des Angriffs liegt.«
Mit den Händen begann er, ein kompliziertes Muster in die Luft zu zeichnen, um einen Zauber über die Tür zu ziehen.
Drake beobachtete ihn einen Moment lang, dann nickte er befriedigt und wandte sich an uns. »Gabriel?«
»Das ist ebenso mein Kampf wie deiner«, antwortete Gabriel und zog sein Schattenschwert. »Mehr sogar meiner, denn es geht um meine Gefährtin. Wir bilden die erste Verteidigungslinie.«
»Oh Mann, ist das Baltic?« Jim war unbemerkt von uns allen die Treppe heruntergekommen, ungewöhnlich für den großen Hund. »Einen besseren Zeitpunkt konnte er sich nicht aussuchen, was?«
Ich eilte zu Jim. »Was machst du hier? Geh und beschütze Aisling«, befahl ich ihm.
»Sie wollte wissen, was los ist. Und sie hat gedroht, mich zu kastrieren, bloß weil ich männlich bin. Anscheinend macht sie mich für ihre Schmerzen verantwortlich.«
»Geh wieder zurück und hilf Kaawa, sie transportbereit zu machen.« Ich scheuchte ihn wieder die Treppe hinauf.
»Ich bin ein Hund«, erwiderte er empört. »Ich habe keine Daumen.«
»Da hast du recht.« Ich kniff die Augen zusammen und überlegte hastig. »Effrijim, kraft der Macht, die mir dein Dämonenlord übertragen hat, befehle ich dir, menschliche Gestalt anzunehmen. Bekleidete menschliche Gestalt.«
»Oh Mann ...«, jammerte er, als sein Körper sich in einen schwarzhaarigen Mann mit schwarzen Augen verwandelte, der seine massige Figur in Jeans und T-Shirt gezwängt hatte. Er blickte an sich herunter. »Wie soll ich Cecile denn das klarmachen?«
»Sobald wir hier alles im Griff haben, kannst du wieder in deine ursprüngliche Gestalt zurückkehren«, erwiderte ich und schob ihn zur Treppe. »Hilf Kaawa und Aisling. Und jag ihr keine Angst ein.«
»Sie rastet sowieso aus, wenn sie mich ohne meine Hundegestalt sieht.« Jim trottete langsam die Stufen hoch.
»Los, geh schon!«, schrie ich ihn an.
Eine vierte Detonation dröhnte durch das Haus, dieses Mal begleitet von dem Geräusch von splitterndem Glas in einem der hinteren Räume.
Nora erschien oben an der Treppe und blickte sich mit weit aufgerissenen Augen um. »Ich bin mir nicht ganz sicher ... War das eben Jim?«
»Ja. Ist mit Aisling alles in Ordnung?«, fragte ich. Drake kam auf uns zu.
»Es geht ihr gut, sie fragt sich nur, was los ist.«
»Ich bringe sie in die Schatzkammer«, sagte Drake und bewegte sich mit einer Geschwindigkeit an uns vorbei, die definitiv nicht menschlich war. »Nora, bleibst du mit René bei ihr?«
»Ja, natürlich. René ist jetzt auch bei ihr. Er versucht gerade, sie abzulenken. Ich muss nur rasch ein paar Dinge holen, um es ihr bequemer zu machen ...«
Nora rannte hinter Drake her, und auch Maata und Tipene liefen nach oben, wahrscheinlich, um nach den Fenstern zu sehen.
Aus dem Untergeschoss tauchte auf einmal Kostya auf. Er steckte gerade sein Hemd in die Hose, und seine Haare waren nass und zurückgekämmt. Cyrene folgte ihm. Auch ihre Haare waren nass, und sie war gerade dabei, ihre Kleidung zu richten.
»Was ist los?«, fragte Kostya. »Wir haben eine Explosion gehört.«
»Wir dachten zuerst, unser Sex wäre so großartig, aber dann merkten wir, dass unsere Handtücher aus dem Regal neben der Sauna rutschten, und da war uns klar, dass irgendetwas nicht stimmte.« Cyrene knöpfte hastig ihre Bluse zu. »Es ist Fiat, nicht wahr? Er ist gekommen, um mich zu rauben, jetzt, wo ich wirklich Kostyas Gefährtin bin. Ich wusste es!«
Kostya erstarrte. »Das ist nicht Fiat. Das ist Baltic!«, korrigierte er sie wütend.
»Oh, der.« Cyrene runzelte die Stirn. »Aber er will mich doch gar nicht stehlen. Was will er denn jetzt schon wieder?«
Alle blickten mich an.
Ich seufzte. »Leider will er mich. Oder vielmehr das Stück Drachenherz.«
»Nicht nur das eine Stück«, sagte Gabriel. »Er will alle. Er hat mit seinem Angriff gewartet, bis alle beisammen waren.«
»Er will das Drachenherz«, sagte Kostya leise, und seine Stimme war so düster, dass ich erschauerte. Unwillkürlich drängte ich mich dichter an Gabriel.
Tröstend und schützend legte er den Arm um mich. »Ich lasse nicht zu, dass er dir etwas tut, Vögelchen.«
»Ich weiß«, sagte ich und lächelte ihn an. »Ich vertraue darauf, dass wir ihn abwehren, wie auch schon die letzten Male, Gabriel, aber das muss endlich aufhören.«
»Ja, das wird es. Es wird jetzt aufhören«, sagte Kostya und marschierte zu Drakes Arbeitszimmer. Kurz darauf kam er mit zwei langen Schwertern zurück. Er warf Cyrene einen fragenden Blick zu. »Ich nehme an, du weißt nicht, wie man damit umgeht?«
»Du irrst dich«, erwiderte sie zu seiner Überraschung und streckte die Hand nach dem Schwert aus. »Alle Schwestern der Hydriaden können mit einem Schwert umgehen. Wir wurden vor etwa siebenhundert Jahren ausgebildet, nachdem ein paar Kreuzfahrer zu frech uns gegenüber wurden. Wir können mit Langschwertern, Kurzschwertern, Degen und Hellebarden umgehen. Ich habe zusätzlich auch noch einen Kurs in Axtwerfen und Feldschlange belegt, aber Letzterer würde ich eine gute Glock jederzeit vorziehen.«
Kostya starrte sie einen Moment lang an, dann schüttelte er den Kopf und trat an die Haustür. »Bleib im Hintergrund, Cyrene, und pass auf dich auf. Dieses Mal kämpfst du nicht gegen sterbliche Kreuzfahrer.«
»Hör auf, mit mir zu sprechen, als ob ich dich behindern würde«, sagte sie empört. »Ich habe schon auf mich aufgepasst, als du noch gar nicht auf der Welt warst, Drache. Außerdem besitze ich jetzt die Macht eines Dämonenlords. Die kann ich auch einsetzen.«
Kostya verdrehte die Augen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Haustür.
»Drake wäre bestimmt froh, wenn noch jemand auf Aisling aufpassen würde«, sagte ich zu ihr, um sie aus der direkten Kampfzone herauszulocken. Der Gedanke, dass sie ihre neue Macht ohne wirkliche Anleitung gebrauchen könnte, bereitete mir Sorgen. »Sie und Nora könnten dir auch Ratschläge in Bezug auf Magoths Macht geben.«
Cyrene dachte einen Moment lang nach. Anscheinend gefiel ihr die Vorstellung, wie ein weiblicher heiliger Georg den Drachen zu töten. »Aber dann könnte ich Kostie nicht helfen.«
»Kostie hat ja uns«, erwiderte ich. »Dies ist nicht der richtige Augenblick, um an Ruhm zu denken, Cyrene. Aisling ist in einem sehr verletzlichen Zustand, und Drake hat nicht so viele Drachen hier.«
Sie nickte. »Du hast recht. Die arme Aisling. Ich werde zu ihr gehen und sie und ihr Baby verteidigen. An mir kommt niemand vorbei. Vielleicht kann Nora mir ja beibringen, wie ich Magoths Legionen rufen kann. Ich wette, ich könnte ihnen befehlen, sie ebenfalls zu beschützen.«
Einen Moment lang hatte ich eine Schreckensvision, dass das gesamte Haus unter Cyrenes Kommando im Chaos versinken würde, aber Nora würde natürlich nie zulassen, dass Cyrene auch nur einen Bruchteil der Macht einsetzte. »Danke, Cy. Wir halten hier die Stellung.«
»Viva die schwarzen Drachen«, rief sie aus. Sie warf Kostya eine Kusshand zu und eilte dann durch die Küche in die unterirdische Schatzkammer.
Savian stolperte die Treppe herunter. Er war noch ein bisschen unsicher auf den Beinen, aber wieder soweit hergestellt.
»Du glaubst doch nicht, dass sie wirklich Dämonen beschwört, oder?«, fragte Kostya und warf mir einen zweifelnden Blick zu.
»Oh, sie möchte bestimmt gerne, aber niemand wird ihr sagen, wie es geht, und Cy hat keine Ahnung, wie man das anstellt. Ich finde mittlerweile, dass sie die ideale Person für Magoths Macht ist. Sie wird sie nie benutzen.«
Er nickte und wandte sich wieder zur Tür.
»Wo sind denn eigentlich deine Supermodels?«, fragte ich, weil mir plötzlich auffiel, dass sie gar nicht da waren.
»Meine was?«
»Deine weiblichen Bodyguards.«
Er wich verlegen meinem Blick aus. »Sie ... äh ... Cyrene fand, dass ich sie besser woanders einsetzen sollte.«
»Ah.« Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht laut zu lachen.
Ich hatte keinen Zweifel, dass Cyrene als erstes Kostyas Harem aufgelöst hatte.
Aber bevor ich etwas sagen konnte, flog der gesamte Eingang des Hauses in die Luft. Glas, Holz, Stuck und Metall prasselten auf uns hernieder.